Dienstag, 31. März 2015

Der Casus Andreas Kümmert - Wann ist mutig Scheitern Kunst oder wo beginnt die Selbstdemontage?

Kaum ein Künstler in letzter Zeit hat es derart rapide und schnell geschafft vom umjubelten Hoffnungsträger zwischen die Kluft von mutiger Anerkennung und schamlosen Hohn zu fallen und sein gesamtes Lebenswerk zwischen diesem Mahlstrom zu definieren und gleichzeitig zu ruinieren.

Sofern man der Populärmusik nicht abgeneigt, der Castingshows hörig oder in letzter Zeit einfach nur im Besitz eines E-Mailkontos, wird man im Moment zwangsläufig nicht an diesem Namen vorbei kommen.

Dabei fing alles an wie im Märchen. Im billig blinkenden Mainstream tauchte plötzlich dieser talentierte Musik in der Castingshow The Voice of Germany auf und siegte souverän als kompletter Gegenentwurf zu den sonst so gängien Klischees. Bei ihm stand die Musik im Vordergrund, beleibe nicht die Optik - ihr schien er alles unterzuordnen und seine Stimme berührte die Menschen.

Mich persönlich ließ das sehr kalt, aber dennoch war es schön irgendwie mitzubekommen, dass es eben kein glatt polierter Mädchenschwarm, keine Botoxblondine mit praller Brust war welche gewonnen hatte, sondern eben ein Musiker.

Andreas Kümmert war fortan ein Begriff und vermutlich durchaus erfolgreich. Um das große Geld ging es ihm scheinbar nie, auch nicht um die Anerkennung, es ging ihm um die Musik.

Warum er dann den Schritt wagte, Deutschland bei Eurovision Songcontest zu vertreten kann hinterfragt werden. Denn so ganz passte er nicht in dieses Show zelebrierende Umfeld, oder eben genau doch: erneut als Gegenentwurf zur schrillen Showwelt. (Als verlängerter Arm einer "Ein bisschen Frieden" Nicole 2.0 Alternative weil eine Lena Meyer-Landrut ausgereizt und im Vergleich doch wieder zu angepasst scheint? - weit vom Thema abschweifende ESC-Gedanken, pardon...)

Was die Chance zum ganz großen, internationalen Sprung gewesen wäre, denn dass er unter den vorderen Plätzen landen würde, wäre gar nicht mal so unwahrscheinlich, wurde der Anfang von einer Chance noch größer zu werden und doch ein nie dagewesenen Eklat. Mit überwältigender Mehrheit gewann Kümmert den Vorentscheid um dann, auf der Bühne zurück zu treten.

Das wäre nicht seine Welt, das wäre zu groß für ihn und er nur ein kleiner Musiker. Nach seinen Erfahrungen mit The Voice of Germany sollte diese große, mediale Brisanz für ihn weder etwas neues noch außergewönliches sein. Aber er trat zurück, weil er entschied, dass dies zu viel für ihn wäre und hier begann die Öffentlichkeit sich erstmals in heuchlerischer Bigotterie aufzuteilen.

Während das Feuilleton von einem mutigen, großen Schritt hin zur Kunst schwärmte und den cleversten Schachzug überhaupt witterte um wirkliche Größe zu erlangen und sich dabei hoffnungslos in einem intellektuell-kulturellen Gedankenspiel verlor, polterte die Boulevard- und Schundpresse skandalträchtig nach vorne und suchte gleich nach Gründen, abseits des freien Willens des Künstlers. Die Sozialennetzwerke glühten ebenso in allen möglichen Farben von Bewunderung und einem Statement setzender Begeisterung, über Verschwörungstheorien spannend - warum fing Barbara Schöneberger den einleitenden Satz mit "Wir sind gespannt was jetzt passiert. Bist du bereit nochmal deinen Song für uns zu performen?" an? Wusste sie schon etwas? War es ein abgekartertes Spiel? Daneben mischte sich Enttäuschung und Vorwürfe, "warum hast du anderen Künstlern den Platz weggenommen? Ist dir bewusst das Fans viel Geld für dich gezahlt haben und für dich angerufen haben? Warum hast du dann überhaupt teilgenommen?".

Allein hier wären wir schon an einem sehr verfahrenen, diffusen Moment angelangt, der viele Fragen aufruft. Darf ein Künstler einfach nicht performen? Darf ein Künstler auch aufgeben? Nicht mehr können? Kauft sich der Fan, der Zuhörer mit 9ct für den Telefonanruf das Recht auf einen Auftritt? Wer bestimmt schlussendlich, was und warum gespielt wird? Interessiert es, was dahinter passiert? Wie darf ein Künstler nein sagen?

Bis zu diesem Punkt hätte es noch einen weiteren Weg gegeben und es wäre auch ein grundsätzliches Verständnis gegeben gewesen. Von der im Titel angedeuteten Mut zum Scheitern als Kunst, möchte ich mich ein wenig distanzieren, das ist zu gewollt, zu künstlich aufgebläht für pseudokulturelle Glossen. Aber es bietet Platz und Raum für interessante, vielleicht auch investigative Diskussionen an der jede Partei teilnehmen kann und vielleicht auch sollte. Als Künstler, als Veranstalter, als Konsument und Zuhörer. Ein voneinander abhängiges Drei- oder Mehrgestirn, welches sich nicht zwingend mögen muss, sich oft gegenseitig ausnutzt und missbraucht, aber auch im Gleichklang schlagen kann.

Wie definiert sich ein Gleichgewicht innerhalb und vor allem auch außerhalb? Im Umgang mit den Medien, der Presse? Es ähnelte jeder großen, populistischen Debatte, bei der langfristige Hintergründe sich nicht gegen die schnelle Schlagzeile durchsetzen können und der konstruktive Blick aus den Augen gerät.

Auf Kümmert bezogen wäre meine Aussage gewesen - wenn du eine Pause brauchst, wenn du Zeit für dich brauchst, es werden die meisten verstehen können. Nehme sie dir, das Gesicht kann gewahrt werden. Gleichzeitig tauchten aber erste Zeitungsartikel und Gerüchte einer Anzeige auf. Kümmert soll ausfällig, sexistisch auf einem Konzert geworden sein. Mit letzterem Begriff bin ich vorsichtig, er fällt oft zu schnell und nicht immer dort, wo er sollte.

Kümmert soll bei einem Konzert gestört worden sein, von einer Gruppe Frauen welche sich während seines Auftritts lautstark unterhalten hätten. Ein Affront für Kümmert den Musiker, theoretisch für jeden Besucher, eine Respektlosigkeit. Er soll die Fassung verloren haben, die Meinungen wiedersprechen sich. Die einen fanden dies wieder menschlich, die anderen ebenso respektlos, nicht erwachsen, souverän, kein Vorbild. Wieder kein Konsens in der Diskussion - aber wollte er sich unter diesem Eindruck, selbst aus der Öffentlichkeit nehmen?

Von Kümmert kommt wenig bis gar nichts, Anwälte wären am klären und wieder die Frage. Muss er sich dazu äußern? Sollte er?

Die nächsten Konzerte, bei mir um die Ecke - 9ter März in der Goldenen Krone, in Darmstadt. Freier Eintritt, der Ansatz ehrt ihn - wurde abgesagt. In gewisserweise verständlich, vorhersehbar, der Schaden gering.

Nachdem aber am Samstag, den 28ten März erneut ein Konzert abgesagt wurde - vor 550 zahlenden Gästen, spontan nach dem Soundcheck bricht zunehmend der Boden weg, die Sozialennetzwerke werden zu den Asozialenhetzwerken. Eine Phalanx erboster Facebook und Twitterkommentare ergießen sich in der ekelhaft, neumodischen Erscheinung eines Shitstorms. Oft weit über das Ziel hinausschießend, aber sie nähren sich an der Widersprüchlichkeit Kümmerts.

Warum sagt er wieder ein Konzert ab? So kurz vor knapp? Warum will er es überhaupt erst stattfinden lassen, wenn er sich dazu nicht in der Lage fühlt? Hilflos das an- und abkündigen weiterer Termine im Netz.

1. April - Freakt Out, Wertheim
2. April - Stammtisch, Würzburg
4. April - Big Emma, Ramstein
5. April - Contra'N Mannheim
6. April - Krone Darmstadt

Ein straffes, sehr straffes Programm. Will er es wieder gut machen? Eine Stunde später fliegt Wertheim von der Tourliste. Noch eine Stunde später Ramstein. Wieder das falsche Signal und Kümmert giftet nebenher zurück.

Beschimpft die als Arschlöcher, welche ihn als Arschloch beschimpfen. Aber er ist nicht Klaus Kinski, generell haben sich die Zeiten geändert. So kann er nur verlieren und er verliert auch. An Zuspruch, Wertschätzung und Fans.

Man munkelt er sei krank, stehe unter Druck. Während die Welt noch geschockt den Atem anhält über den Flugzeugabsturz über Frankreich, läuft das Netz weiter warm. Wollte man doch damals nach Enke doch eigentlich schon umdenken. Aber der Zug hat an Fahrt aufgenommen und scheint nicht zu bremsen.

Kümmert ist tragisches Opfer und zum Teil, unbekannter, selbstverschuldeter Täter zugleich, der durch sein Handeln denen, die an ihn glauben und ihn unterstützen zugleich den Mittelfinger zeigt. Die einen feiern ihn, die anderen verfluchen ihn. Plump und kulturell.

Wir sind an einem Punkt angelangt, der außer Kontrolle angelangt ist - wo eine Seite allein den Zug auch nicht mehr anhalten kann. Eine Zeit in der Anspruch und Realität aufeinander prallen und versucht wird die Grenzen der Kunst neu auszuloten. In meinen Augen nicht gewollt, sondern kopflos, getrieben und gezwungen von einer Hysterie - deren Anteil ich hiermit leider selbst auch bin.

Was mir nur etwas fehlt ist die Differenzierung, beide Seiten, die Vermengung beider Seiten und die natürlichen und unnatürlichen Reaktionen darauf. Es wird anhand von Vermutungen und nicht ausgesprochenen Statments argumentiert, kaum an hintergründigen Fakten - das ist bedauerlich und ironisch. Tritt damit doch genau das in den Hintergrund, was bei Kümmert - so zumindest seine Selbstdarstellung, im Vordergrund stehen sollte: Die Musik.

Ja ironischerweise wäre die Teilnahme am ESC vielleicht einfacher, vielleicht rückratsloser - aber am Ende zielführender für eben genau die scheinbar benachteiltigte Musik gewesen. Ich muss zwangsläufig auch an Michael Jackson oder an Amy Winehouse denken. Ein Schicksal, welches ich ihm nicht wünsche, zumal mir bei den wahrscheinlich entsetzten, retrospektiven Aufschreien die Galle hochkommen würde, aber der Punkt einmal inne zu halten, ist denke ich längst gekommen.

Ich überleg mir im Moment echt noch ob ich es am 6ten April wagen sollte. Ich wette fast auf eine erneute Absage, ein erneuter Schaufelstich ins eigene Grab - aber mich würden bei aller voyeuristischer Scham die Reaktionen interessieren. Denn jetzt, steht er genau da wo er nicht stehen wollte: Im Mittelpunkt und alle schauen zu, wie jemand scheitert, oder bricht, verschwindet und sich bewahrt.

Viva Musikkultur 3.0 ....


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